The Boys räumt mit dem Saubermann-Image des Superhelden-Kults auf und bietet gleichzeitig eine messerscharfe Satire, die sich an Politik und Gesellschaft abarbeitet. Brutal, witzig und actiongeladen werden die Zuschauer der Amazon-Prime-Serie und Leser der Comicreihe auf eine spannende Tour de Force mitgenommen, die keine Gefangenen macht.
Comicbücher über Superhelden und entsprechende Verfilmungen erzählen schon längst nicht mehr nur Geschichten über Gut gegen Böse. Viele Storys loten seit Jahren die Grauzonen die moralischen Grauzonen dieser Charaktere und ihrer Taten aus. Die Heldinnen und Helden – oder vielmehr Anti-Helden und –Heldinnen – der Comicreihe und erfolgreichen Blockbuster-Serie „The Boys“ treiben es allerdings noch einmal auf die Spitze, lassen keinen Stein auf den anderen und oftmals auch kein Körperteil oder Organ dort, wo es eigentlich hingehört. Hinzu kommen unbarmherzige satirische Spitzen in Richtung Politik und Gesellschaft. Gezeigt wird ein plausibles Szenario einer Gesellschaft, die mit Individuen mit Superkräften zurechtkommen muss.
„The Boys“ hat sich als wichtiger Gegenpol zu den doch recht sauberen Heldinnen und Helden der DC- und Marvel-Universen entwickelt. Die Serie basiert auf der gleichnamigen Comicreihe von Garth Ennis und Darick Robertson und erzählt die Geschichte einer zusammengewürfelten Gruppe gleichen Namens, die verdeckt gegen eine Superheldengruppe kämpft, die sich The Seven nennt und von einem Großkonzern namens Vought International gesponsert wird.
In deren Mittelpunkt steht Homelander (Anthony Starr), der sowohl an Captain America als auch an Superman erinnert und unbesiegbar zu sein scheint. Als perfekte Mischung aller Superheldenträume und -wünsche ist er unglaublich stark, schnell, kann fliegen und Laserstrahlen aus seinen Augen schießen. Mit seinem guten Aussehen und strahlend weißen Zähnen ist es wenig verwunderlich, dass er auch in der Öffentlichkeit unheimlich beliebt ist.
Es wird aber schnell deutlich, dass hinter der Fassade ein wütender und mörderischer Psychopath schlummert. Zu seinen Partnerinnen und Partnern gehören der Aquaman-Verschnitt The Deep (Chase Crawford), der superschnelle A-Train (Jessie T. Usher), der stets maskierte Black Noir (Nathan Mitchell) und Queen Mave (Dominique McElligott). Diese haben neben ihren jeweiligen Superkräften ihr eigenes psychologischen Päckchen zu tragen.
Das Gleichgewicht der Supermächte soll sich jedoch verschieben, als die neue Superheldin Starlight (Erin Moriarty) den Seven beitritt, aber sogleich von einem anderen Mitglied sexuell belästigt wird. Gleichzeitig wird die Verlobte des Zivilisten Hughie Campbell (Jack Quaid) durch einen Superhelden getötet. Starlight beginnt langsam, an der moralischen Überlegenheit des Superheldenteams zu zweifeln, während sich Hughie den titelgebenden Boys anschließt. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Menschen, die längst die glänzende Fassade der Seven durchschaut hat und im Auftrag der CIA nach Mitteln und Wegen sucht, die übermenschlichen Gegner zu besiegen.
Angeführt werden sie vom vulgären Billy Butcher, der seinem Namen entsprechend sehr rabiat bei seiner Arbeit vorgeht. Ihm zur Seite stehen der etwas zurückhaltendere und überlegtere Mother’s Milk (Laz Alonso), der geniale und sensible Frenchie (Tomer Capone) sowie die stumme Kämpferin Karen Fukuhara (Kimiko Miyashiro), die als einzige in der Gruppe über Superkräfte verfügt. Ihr Kampf gegen die scheinbar übermächtigen Gegner wird durch diverse gesellschaftliche und politische Strömungen erschwert, die immer mehr in Richtung Faschismus abzudriften scheinen.
The Boys parodiert somit erfolgreich den Superheldenkult, der in der Serie nicht von Marvel/Disney oder DC/Warner Bros., sondern von Vought International erfolgreich vermarktet wird. Bei seinem satirischen Rundumschlag lässt die Comicreihe und insbesondere die Serie die aktuelle amerikanische Politik nicht aus. Vor allem Homelander entpuppt sich immer mehr als narzisstischer Machtmensch, den diverse politische Figuren und Parteien gerne für ihre eigenen Zwecke einspannen möchten.
Aber Achtung: Die Serie ist definitiv nichts für Zartbesaitete. Jede Staffel scheint die vorherige in Sachen übertriebener Gewalt, skurrilen Sexdarstellungen und absurdem Humor überbieten zu wollen. Außerdem kommen jedes Jahr mehr explodierende Körper und Köpfe, abgerissene und zerquetschte Gliedmaßen oder Organe, die sich häufiger außerhalb als innerhalb des Körpers aufhalten, hinzu.
Bevor „The Boys“ zu einer Hitserie wurde, handelte es sich um eine Comicreihe, die allerdings fast mit einem frühzeitigen Aus zu kämpfen hatte. Sie überlebte trotzdem sechs Jahre von 2006 bis 2012 und brachte es auf insgesamt 72 Ausgaben. Das kreative Duo bestehend aus Autor Garth Ennis und Zeichner Darick Robertson arbeiteten zuvor unter anderem an den Comicserien wie „Transmetropolitan“ und „Preacher“. Letzteres wurde ebenfalls als eine ähnlich brutale Amazon-Serie adaptiert.
Ursprünglich sollte „The Boys“ im DC-Universum angesiedelt sein und von bekannten Heldinnen und Helden wie Superman, The Flash, Aquaman, Wonder Woman und anderen überlebensgroßen Figuren handeln – Überreste dieser Idee lassen sich sogar heute noch im Design der einzelnen Charaktere von „The Boys“ erkennen. Es überrascht nicht, dass das Konzept nicht den Vorstellungen des DC-Verlags entsprach. Die abgeänderte Version mit vollkommen neuen, aber dennoch bekannt wirkenden Figuren erschien in der Form von „The Boys“ erstmalig beim Verlag Wildstorm, einem DC-Subunternehmen. Die beiden kreativen Köpfe konnten somit ihre eigene Geschichte erzählen, ohne Kompromisse einzugehen und ohne das gute Image von DCs populärsten Superhelden zu ruinieren. Die erste Ausgabe hielt sich nicht zurück, sondern enthielt reichlich unflätige Sprachgebilde, Sex und Gewalt, was später auch ein Markenzeichen der Serie werden sollte.
Das Comic war ein großer Erfolg, die Branche befand sich jedoch in einer schwierigen Phase und „The Boys“ sollte nach sechs Heften wieder eingestellt werden. DC bot an, die Reihe fortzusetzen, wenn Ennis und Robertson sie etwas entschärfen würden. Darauf stieg das kreative Duo allerdings nicht ein. Zu ihrem Glück waren viele andere Verlage an dem dreckigen Dutzend unter den Superhelden interessiert und „The Boys“ fand schnell ein neues Zuhause bei Dynamite Entertainment.
Hollywood ließ anschließend nicht mehr lange auf sich warten und klopfte bereits 2008 an die Türen der beiden Schöpfer. Wie es aber öfters der Fall ist, wurde die Vorlage von einem Studio zum nächsten gereicht. Zahlreiche Regisseure waren im Gespräch, konkrete Gestalt wollte eine Adaption jedoch nicht annehmen. Irgendwann trat Amazon auf den Plan und „Supernatural: Zur Hölle mit dem Bösen“-Produzent Eric Kripke nahm sich unter anderem dem Projekt an. Zum Produzententeam gehörte auch Schauspieler Seth Rogen, der zuvor schon „Preacher“ co-produzierte. Der lange Adaptionsweg hat sich offensichtlich gelohnt, denn der Erfolg und die Qualität der Serie sprechen für sich.
Die Macher der Serie haben ein Ende der Geschichte nach der 5. Staffel bereits angekündigt. Trotz des großen Erfolges waren ursprünglich nur fünf Staffeln geplant, sodass die Serie nicht unnötig in die Länge gezogen wird und den Fans wahrscheinlich ein befriedigender Abschluss bevorsteht.
Als kleines Trostpflaster können sie sich außerdem über das Spin-off „Gen V“ freuen. Diese Amazon-Serie spielt im selben Universum und erzählt die Geschichte eines amerikanischen Colleges ausschließlich für Jugendliche mit Superkräften. Die 1. Staffel lässt sich bereits bei Amazon Prime abrufen. An der 2. Staffel wird bereits gearbeitet.
Einer der wichtigsten Unterschiede besteht darin, dass alle Mitglieder von den Boys in den Comics mit Superkräften ausgestattet sind. In der Serie kann nur Kimiko von ihren Selbstheilungskräften profitieren. In der Serienadaption finden sie erst später ein Mittel namens Compound V, das ihnen zwar übermenschliche Mächte verleiht, aber erschreckende Nebenwirkungen hat. Das Compound V ist in den Comics außerdem fast omnipräsent vorhanden, gelangt sogar in die Nahrungskette und kann genetisch vererbt werden. Das Mittel erweckt auch tote Superhelden wieder zum Leben.
In den Comics ist Hughie außerdem schottischer Abstammung und weist große Ähnlichkeit zum Schauspieler Simon Pegg auf, der wiederum in der Serie Hughies Vater spielt. Der mysteriöse Black Noir, der niemals seine Maske abnimmt, stellt sich in den Comics als Klon von Homelander heraus. Während sich die Boys in der Amazon-Serie in einer Art Hass-Liebe-Beziehung zur CIA befinden, steht der Geheimdienst in den Comics voll und ganz hinter der Söldner-Truppe. Es gibt noch einige andere kleine und größere Änderungen, diese würden aber zu viel von der Serie und den Comics spoilern. Es macht viel mehr Spaß, diese feinen Unterschiede auf eigene Faust zu entdecken.